Allgemein
Üblicherweise zeichnen wir uns in den wettertechnisch weniger einladenden Wochen des Jahres durch die gleichen, liebenswert gestörten Verhaltensweisen aus, wie ein Großteil der Motorradfamilie. Wir schlendern alle Nase lang in die Garage, streicheln unsere zweirädrigen Sahnestücke, versichern ihnen unsere uneingeschränkte Liebe und frönen dem Ritual der exzessiven Fahrzeugpflege. Über den viel zu frühen Einbruch der Dunkelheit helfen uns Bilder und Videos zurückliegender Touren und Ausfahrten hinweg. Planungen und Ideen für die bevorstehende Saison komplettieren die Harmonie unserer Gedankenwelt.
Nicht ganz freiwillig haben sich weitere, wenn auch weit weniger beglückende Beschäftigungsfelder etabliert. Das Durchforsten von Gerichtsurteilen und das Sezieren sperrig formulierter Gesetzestexte auf der Suche nach dem Schlüssel zur Beendigung der zunehmenden Praxis des Aussperrens aller Motorradfahrer. Die teils atemberaubenden Urteilsbegründungen zu bereits geschlagenen juristischen Schlachten treiben einem dabei abwechselnd Sorgenfalten oder Angstschweiß auf die Stirn. Die Auslegungen des oft im Zentrum der Betrachtungen stehenden §45 der StVO und die daraus resultierenden Gestaltungsmöglichkeiten der Verbots-Hardliner lassen nichts Gutes erahnen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, eigentlich das Maß der Dinge, findet selten die geschuldete Würdigung, der Kreativität zur Konstruktion der Rechtmäßigkeit einseitiger Sperrungen wird umso mehr Raum gegeben. Nun gibt es zwar keine konkreten Festlegungen dazu, ab welchem Prozentsatz an Regelübertretungen im Verhältnis zur Anzahl der Messungen Verhältnismäßigkeit gegeben ist, wenn jedoch „etwa 600 Motorräder“ von gemessenen 3.500 die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, reicht es beispielsweise dem Verwaltungsgericht Köln, ebendiese zu attestieren (VG Köln 18 K 4473/12). 17,14%, wenn ich meinen Rechner richtig bedient habe. Aber es wird noch besser. Das Gericht bescheinigt der anordnenden Behörde, dass die „zu erwartende Unfallentwicklung“ das Aussperren aller Motorradfahrer im Sinne der Gefahrenabwehr rechtfertigt. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich in Kreisen enteignungstoleranter Verächter des motorisierten Zweirades die Anwendung des Absatzes 1 Satz 6 des Paragraphen 45 der StVO. Im Wortlaut: „Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Das gleiche Recht haben sie…. 6) zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen.“
Praxisbeispiel? Gern. Ich sperre also eine Strecke oder wahlweise eine ganze Region nur für Motorräder und erforsche im Anschluss das Unfallgeschehen mit Motorradbeteiligung. Das ziehe ich ein Jahr lang durch, denn mindestens so lange brauche ich, um saisonale und witterungsbedingte Schwankungen in meinen Messungen und Tests auszugleichen. Da der §45 nicht festlegt, wie oft ich das machen darf, entscheide ich mich im nächsten Jahr für eine erneute Sperrung, diesmal erforsche ich jedoch das Fahrverhalten der ausgesperrten Motorradfahrer, im Jahr danach die Abgasemissionen der nicht vorbei fahrenden Motorräder und im Jahr danach das Verhältnis von Reifenabrieb zur bevorzugten Helmmarke des Fahrers. Prinzip erkannt? Fein.
Was uns zu der Frage bringt, inwieweit die Anwendung der StVO die Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen hinsichtlich der KFZ-Steuer ad absurdum führt. Ausweislich der Homepage des vorgenannten Ministeriums heißt es „Die Kraftfahrzeugsteuer ist eine Verkehrsteuer, die auf die Teilhabe am Rechts- und Wirtschafts-verkehr erhoben wird, die Ertrags- und Verwaltungshoheit liegt beim Bund.“ Mit der großzügigen Anwendung des §45 der StVO in vorstehend beschriebener Weise wird die Teilhabe am Rechts- und Wirtschaftsverkehr eingeschränkt oder deutlicher formuliert, die Straßenverkehrsbehörde von Hintervergißmeinnicht beschränkt mich in einem Recht, für welches ich beim Bund, eingetrieben durch die Hauptzollämter, in voller Höhe bezahlt habe. In Ermangelung an juristischer Sachkenntnis haben wir naturgemäß keine Antworten auf unsere Fragen. Wir sind jedoch geneigt, unsere Fragen an die entsprechenden Adressaten in Karlsruhe respektive München zu richten.
Ganz abgesehen von der Zulässigkeit einer solchen Klage oder der finanziellen Machbarkeit, hochinteressant wäre sie allemal, die höchstrichterliche Bewertung dieser Taschenspielertricks im Grenzbereich.

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